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16. Dezember 2010

Die Sage vom Weber Matthias Gerling

(Aufgeschrieben von Annalise Wagner)
(Preisverleihung 2007 der Annalise Wagner Stiftung, Laudator: S. Kehler)

Wollweber Matthias Gerling aus Neubrandenburg war gezwungen, im Winter auswärtige Dienste anzunehmen, um seine Frau und vier Kinder ehrsam durchzubringen. Im Winter hatten ihn Garten und Feld weniger nötig, da konnte er nach Malchow zu einem Meister mit mehreren Webstühlen ausreisen. Es waren nun bereits Wochen vergangen und das Weihnachtsfest war näher gerückt. Matthias hatte seine schwer verdienten Gulden in der Tasche und beschloss, sich zum Fest für 14 Tage nach Hause zu begeben, um der Frau Unterstützung zu bringen sowie einen Weihnachtsgroschen für jedes Kind.
Als er sich am dritten Reisetag früh morgens auf den Weg machte, herrschte trockenes klares Winterwetter - aber am Nachmittag änderte es sich. Ein böser Schneesturm kam auf und verhüllte alles mit einem dichten Schneeschleier. Der Schnee verwehte die Wege und die Bäume wurden zu gespenstischen Schatten. Matthias war vom Wege abgekommen! Die Verzweiflung war groß und der Kampf mit dem eisigen Schneesturm hatte ihn müde gemacht.
Aber sehr weit konnte er nicht mehr von seiner Vaterstadt entfernt sein, das wusste er. Jedoch konnte es gut sein, dass er sich weiter und weiter entfernte, statt sich der Stadt zu nähern ... Matthias grübelte angstvoll, wie es nun weitergehen sollte.
Plötzlich hörte er Kirchenglockengeläute! Waren das nicht die Glocken von Sankt Marien? Ja, sie waren es!
Voller Zuversicht schritt er dem Schall der Glocken nach. Nun konnte es nicht mehr weit sein! Diese Zuversicht gab ihm neue Kraft. Nach einer Wegstunde erreichte er das Treptower Tor - zwar völlig erschöpft, aber von Dank erfüllt.

Dieses Erlebnis hat ihn so bewegt, dass er nach wenigen Tagen den Pfarrer von Sankt Marien aufsuchte und ihm sein Erlebnis vortrug. Er war bereit, einige seiner Gulden als Stiftung zu hinterlassen, damit dieser wunderbaren Fügung gedacht werde.
Seine Stiftung bestimmte, dass täglich nachmittags um 16 Uhr die "Wächterglocke" - oder "Weberglocke" - geläutet werde soll. Und so geschah es dann auch.

Als Matthias Gerling starb, verstummte seltsamerweise das Weberglöckchen um die Vesperzeit. Was war geschehen?
So ungewöhnlich es klingen mag, aber schuld daran war der Nachtwächterstreik.
Die beiden Nachtwächter hatten es übernommen, gegen Zahlung des Stiftungs-geldes auch die "Weberglocke" zu läuten. Da sie aber im Streit mit den Ratsherren lagen, streikten sie, um endlich eine angemessene Besoldung zu bekommen. Sogar der Landesherr empfahl einen neuen Tarif, um den Streik beizulegen. Nach wochenlangen Verhandlungen erreichten sie ihr Ziel. Nun wurde auch die "Weberglocke" wieder geläutet.

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