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9. März 2011

Der habgierige Fischer auf der Tollense

Vereist (C) Elke Riedel


In alten Zeiten lebte in Neubrandenburg ein reicher Pachtfischer, dem der Tollense-See von der Stadt verpachtet war. Ihm war Petri-Heil alle Jahre  mit Erfolg beschieden, aber ein Petri-Dank hörte man nie von seinen Lippen kommen. Im Gegenteil, er nutzte seine Fischerknechte bis aufs Blut aus und gönnte ihnen  keinen  Sonntag Ruhe. Selbst an den christlichen hohen Feiertagen mussten seine Knechte zum Fischen nach draußen fahren, niemals konnten sie mit ihrer Familie zum Kirchgang – und das galt damals als äußerst sündhaft. Die geringe Pacht und die großen vollen Wadenzüge sorgten für goldene Einkünfte des Pachtfischers. Besonders um Weihnachten herum und zum Jahresende war das Eisfischen sehr lohnend. Wer wollte nicht zu den Festtagen seinen Karpfen essen!? Wenn die vollen Fischerkähne oder Schlitten zum Unterbach fuhren, hatten sich schon viele Bürger der Stadt dort zum Fischkauf eingefunden. Wie stets  bekamen die Stadtoberhäupter (Bürgermeister, Ratsverwandte, Wiekhausoberleute) die größten Fische. Eines Tages sollte es jedoch anders kommen. Wieder stand der Jahreswechsel vor der Tür, und am Heiligabend waren alle Fischerknechte zum Eisfischen ausgefahren. Als sie mitten bei der Arbeit waren, setzte plötzlich Tauwetter ein, das Eis donnerte, barst und die Knechte schrien:„Wehe, wehe, das ist der Fluch, dass wir an Christi Geburtstag hinaus fahren!“ Sie konnten noch mit viel Mühe das Ufer bei Broda erreichen. Was aber geschah an den Weihnachtstagen der folgenden Jahre? Jedes Jahr fror die Tollense bis Silvester nicht mehr zu. Der Pachtfischer, der bei dem geschilderten Ereignis seine Netze verloren hatte, musste nun alljährlich das Eisfischen um die Weihnachtszeit aufgeben – ein großes Geschäft ging ihm verloren. Über diesen Verlust kam er nicht hinweg. Wieder und wieder fuhr er mit seinem Einboot auf den See, stierte in die Tiefe, suchte sein Netz vergebens und verlor dabei allmählich seinen Verstand. Bei einem großen Unwetter auf der Tollense kenterte er und verlor sein Leben. Nach alten Überlieferungen fand der habgierige Fischer  jedoch keine Ruhe. Bei stürmischem Seegang  haben die Fischer ihn mit seinem Einboot über die Wellen jagen sehen und um sein verlorenes Netz jammern hören.
 
Aus: Annalise Wagner: Die Teufelsmühle : und andere Sagen von Drachentötern, Räubern und Wiedergängern / Annalise Wagner. Ill. von Werner Schinko. - 1. Aufl. - Neustrelitz : Karbe-Wagner-Archiv, 1973. - 79 S. : Abb.  - (Schriftenreihe des Karbe-Wagner-Archivs ; Heft 13)