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4. Januar 2011

Die drei Parvenüs

[aufgeschrieben von Annalise Wagner,
ersch. In: Anekdoten und Geschichten: : aus dem ehemaligen Land Mecklenburg-Strelitz - 2. Aufl. - Neustrelitz : Rat der Stadt, 1973. - 80 S. : Ill.  - (Schriftenreihe des Karbe-Wagner-Archivs ; 11)]

In der ersten Hälfte des 19.Jahrhunderts verließen zwei Neubrandenburger Schüler, Fridolin und Wendland, das Gymnasium, um sich dem Studium der Rechtswissenschaften zu widmen. Der eine war ein geborenen Neubrandenburger, ein frischer fröhlicher Mensch,  den Wissenschaften und ernstem Studium nicht besonders hold, den Freuden des Lebens, vor allem den leiblichen Genüssen, fast mehr als bekömmlich zugetan; der andere ein ernster, begabter Mensch, aber ein ehrgeiziger Streber.
Dieses edle Freundespaar bezog die bayerische Universität München. Der Zufall wollte es, dass sie die Bekanntschaft des späteren Königs Ludwig I,. machten, der damals die Freuden des Studentenlebens nach echt Münchener Art in vollen Zügen genoss. Der junge, etwas überschwänglich veranlagte Fürstensohn, der das Besondere liebte, fand Gefallen an diesen derben Kindern des nordischen Landes, und bald schlossen diese drei einen engen Freundschaftsbund.  Doch die Studienzeit ging zu Ende, und ein wehmütiges Abschiedsfest beschloss die schönen Tage Münchener Lebens. Es entsprach ganz dem großmütig veranlagten Charakter des bayrischen Kronprinzen, dass er seine jungen Freunde aufforderte, ihm einen Wunsch vorzutragen, den er ihnen auf alle Fälle zu erfüllen versprach. In fröhlicher, übermütiger Laune erbat sich Fridolin ein großes fass Münchener Bier. Kaum war er zu Hause eingetroffen, als auch dieses, vom Kronprinzen unverzüglich gespendet, anlangte. In fröhlicher Gesellschaft wurde es ausgetrunken. Es mutet uns wie ein Märchen an, in dem ein bevorzugter das Anerbieten eines gütigen Geistes nicht zu würdigen und schließlich leer ausgeht. Fridolin hat es niemals verstanden, die Situation zu erfassen. Trotzdem er ein tüchtiger Rechtsanwalt war, ist er in Armut gestorben.
Ganz anders sein Freund Wendland. Vielleicht, dass er die Frage des fürstlichen Gönners vorausgesehen hatte, er wusste sie zu seinem dauernden Vorteil zu verwenden und bat; „Gib den Adel und deine weiter Protektion.“ Vielleicht mochte diese Forderung Ludwig überraschen, aber er hielt sein Wort. Wendland wurde geadelt und vom Kronprinzen in die diplomatische Laufbahn bugsiert. Da er ein fähiger Kopf war, und ein gewiegter Diplomat wurde, so machte er bald Karriere. Er wurde zunächst bayerischer gesandter in Griechenland, später in Paris zu der zeit, als der Stern Napoleon der III. aufgegangen war, als dieser Emporkömmling auf dem Fürstenthron die erste Rolle in Europa zu spielen begann. Bald war von Wendland eine angesehene Person an seinem Hofe.

Gelegentlich einer Urlaubsreise besuchte Wendland auch Neubrandenburg und seine alten Jugendfreunde. Unter diesen war auch der Pferdehändler Lichtwald, eine weit und breit durch seine Tüchtigkeit im Beruf und seinen schlagfertigen Witz – der ja gewiegten Händlern eigen ist – bekannte Persönlichkeit. Lichtwald hatte klein angefangen und war wohlhabend geworden. (Auf dem heutigen [1973, Anm. d. Red.]Krankenhausgrundstück betrieb er sein umfangreiches Geschäft, von ihm erwarb es die Stadt für 5000 Thaler, einen für damalige Zeiten sehr anständigen Preis.) Selbstverständlich besaß er auch einen gewissen Ehrgeiz, und es kann uns nicht Wunder nehmen, dass er auf den Vorschlag Wendlands, doch einmal in Paris bei passender Gelegenheit eine Zahl von besonders schönen Pferden zum Verkauf zu stellen, mit Freunden einging. Wendland sagte ihm seine Fürsprache in jeder Weise zu. Gesagt, getan. Eine passende Gelegenheit fand sich bald. (Es soll die Weltausstellung gewesen sein, das lässt sich aber m. E. mit den Zeitverhältnissen nicht in Einklang bringen.) Lichtwald führte einen Transport auserlesenen Pferdematerials nach Paris und erregt damit allgemeine Bewunderung. Wendland versteht es, einflussreiche Kreise dafür zu interessieren, Lichtwald macht ein gutes Geschäft, und als Krönung seines Freundschaftswerkes verschaffte ihm Wendland eine Einladung zu einem jener glänzenden Festlichkeiten, in deren Inszenierung Napoleon Meister war. Mitten im festlichen Trubel erscheint Wendland an seiner Seite und flüstert ihm ins Ohr. “Mügst du wohl eis mit Napoleon spreken?“
„Ja, Minsch, äwer ick kann man nich französisch.“
„Schadt nicks, ick kann ja ok nich dütsch, red du man plattdütsch, un hei redt französich, un ick war doför sorgen, dat ji juch beiden verstaht.“
Wendlandt schleppt ihn zum Kaiser, spielt in der Unterhaltung den Dolmetscher, und so verläuft alles zu vollster gegenseitiger Zufriedenheit.

Lichtwald kehrt nach Neubrandenburg zurück und ist für die ganze Stadt der Held des Tages, besonders aber in der Tafelrunde, die sich im Fürstenhof um ihn schart. Es gibt ein Bild aus Altneubrandenburger Zeit, geschaffen vom Porträtmaler  Krause, demselben der das Spottgedicht und die zeichnerische Karikatur auf den unglücklichen Revolutionshelden  von 48, den Redakteur Stolzenburg, verfasst hat. Dies Bild, erschien im Verlag des damaligen Besitzers der Neubrandenburger Zeitung, des Buchhändlers Lingnau, trägt die Unterschrift „Eine fröhliche Gesellschaft“. Es zeigt 10 Personen, beim Glücksspiel beschäftigt, alles bekannte Neubrandenburger und einen Neustrelitzer. Die Bank hält Lichtwald, mit jovialer Miene die Karten austeilend. Der Herr links neben ihm – von Besucher aus gesehen – durch Kleidung, Barttracht, durch Haltung der ringgeschmückten Finger sich als eitel dokumentierend, lebt in der Erinnerung alter Neubrandenburger als „Schiffer Gerlach“  fort. Dieser Gerlach nun soll es gewesen sein, der Lichtwald unentwegt nach seinen Pariser Erlebnissen ausgefragt hat – wie gern wäre er selbst an seiner Stelle gewesen.

Zuletzt nachdem er alles erfahren hat, stellt er an ihn die Frage; „Segg mal, Lichtwald, woans würr di eigentlich, as du mit Napoleon un Wendlandten tosamen stünnst un di mit Napoleon wat vertellen deist?“
„Ja, Schiffer“, antwor´t Lichtwqald und leggt ruhig de Korten fort, „dat wir mi genau so, as wenn ick mit di red, denn kik mal, Napoleon, Wendland und ick, wi sünd doch all drei … Parvenüs.“ (Karl Wendt, red. V. AW.)

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